Medienkonsum bei Jugendlichen und ihre Folgen

Was Social Media & CO für die Gesundheit unserer Kinder bedeuten

Das Smartphone ist allgegenwärtig und der Zugang zum World Wide Web damit nicht fern. Und hier gibt es ja bekanntlich alles: von (Fake-)News und Informationen, über Unterhaltung bis hin zu Sozialen Netzwerken. Chat-Apps oder gemeinsame Online-Spiele sind nur einen Download oder eine Anmeldung weit weg. Auch für Kinder und Jugendliche. Im Netz gibt es dann so viele Inhalte, die für Kinder und Jugendliche gar nicht geeignet sind – und diese werden oft stundenlang konsumiert.
Was macht das mit unseren Kindern und ihrer Gesundheit? Wie wirkt sich die (teils unkontrollierte) Mediennutzung aus? Was können Eltern tun?
Wir haben mit Uwe Buermann gesprochen. Er ist pädagogisch-therapeutischer Medienberater an der Freien Waldorfschule Mittelrhein und Begründer und Leiter des Ausbildungsganges zum „Pädagogisch-therapeutischen Medienberater“ am Lehrerseminar in Berlin. Auch besucht er regelmäßig Schulklassen, spricht mit den Schülerinnen und Schülern über das, was sie im Netz so täglich erleben und wie sie sich schützen können.

Herr Buermann, wie sieht es aktuell mit der Mediennutzung in Deutschland aus? Welche Kanäle nutzen Kinder und Jugendliche?

Uwe Buermann (UB): Auf dem ersten Platz steht das Smartphone. Zum Glück ist nach Corona die Nutzungszeit insgesamt wieder rückläufig, hält sich aber, laut JIM-Studie 2022, mit einem Durchschnitt von 204 Minuten pro Tag auf hohem Niveau. Dank Streamingdiensten spielt auch das Fernsehen immer noch eine Rolle im Leben vieler Jugendlicher. Bei solchen Zahlen ist es immer wichtig zu bedenken, dass es sich hierbei um einen Durchschnittswert handelt, es also auch eine entsprechende Streuung gibt. Diese Diversität erlebe ich immer wieder in der Praxis bei der Arbeit mit Jugendlichen. Es gibt eine Minderheit von Jugendlichen, die zwar auch ein Smartphone besitzen, dies aber relativ wenig und sehr gezielt nutzen und eine größere Gruppe, deren Nutzungszeit deutlich höher ist. Auch was die inhaltliche Nutzung angeht, gibt es eine derartige Diversität: Auf der einen Seite eine Minderheit, die das Internet hauptsächlich zur Recherche nutzen und Social Media für den inhaltlichen Austausch und die Vernetzung (z.B. die Aktivist:innen von Fridays for Future) und einer größeren Gruppe, die ihr Gerät hauptsächlich für die Unterhaltung nutzen (TikTok, Snapchat, Games, etc.).

Und wie lange nutzen Sie digitale Medien im Schnitt am Tag? 

UB: Da ich mich nicht an Social Media beteilige, liegt die Bildschirmzeit bei meinem Smartphone aktuell bei 65 Minuten pro Tag, hinzukommt, wenn ich zuhause bin, die Arbeitszeit am PC um E-Mails zu bearbeiten etc.

Welche körperlichen Folgen zeichnen sich ab?

UB: Bei den Vielnutzern stehen die Abnahme der Konzentrationsfähigkeit, Schlafstörungen und eine zunehmende Antriebslosigkeit, in deren Folge auch depressive Stimmungen auftreten können, im Vordergrund. Wobei sich gerade ältere Jugendlichen dessen selbst bewusst sind. Bei der letzten Arbeit mit einer Oberstufe berichtete ein Elftklässler, dass er nach drei Stunden TikTok-Nutzung nicht mehr in der Lage ist, Hausaufgaben zu machen, oder sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Seine Schlussfolgerung war aber nicht, die Nutzungszeit zu reduzieren, sondern das Bestreben, erst Hausaufgaben zu machen und dann ins Netz zu gehen – was, wie er eingestand, aber nicht immer gelingt. Viele klagen auch immer wieder über Nacken- und Kopfschmerzen, da sie alle Aktivitäten am Smartphone erledigen und dementsprechend ungünstige Körperhaltungen einnehmen. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor, den ich bei Mittelstufen Schüler*innen wahrnehme, ist die deutliche Zunahme von Bodyshaming aufgrund der permanenten Konfrontation mit „gut aussehenden“ Influencern und Darsteller:innen.

Wie nimmt Mediennutzung Einfluss auf die Psyche unserer Kinder?

UB: Sobald die Kinder freien Zugang zum Internet und den entsprechenden Diensten (TikTok und Co.) bekommen, werden sie mit verstörenden Inhalten konfrontiert. Hier fehlen ihnen in den meisten Fällen die Ansprechpartner. Zu den Eltern können und wollen sie nicht gehen, da sie zu Recht befürchten, dass die meisten Eltern ihnen die Nutzung untersagen würden, wenn sie wüssten, wie der Alltag der Kinder im Netz aussieht. Neben einzelnen, die aufgrund verstörender Inhalte auf die weitere Nutzung von sich aus verzichten, erlebe ich bei den meisten den Versuch eines bewussten Ekeltrainings, dass heißt, dass sie bewusst nach solchen Inhalten suchen und sie in ihren Gruppen teilen, mit dem (unbewussten) Bestreben sich abzuhärten.

Mobbing in Sozialen Netzwerken und Messengern ist leider weit verbreitet. Was passiert aber, wenn ein Kind in einer Klasse keinen Zugang zu Medien haben? Gibt es da auch Mobbing?

UB: Ein aktives Mobbing gegenüber Jugendlichen, die kein Smartphone haben, ist die absolute Ausnahme. Vielmehr werden bei den Vielnutzern die virtuellen Inhalte schnell zum zentralen Lebensinhalt und sie können nur noch über diese Inhalte kommunizieren. In dem Zusammenhang ist es immer wieder spannend, sich einzelne Klassendynamiken anzuschauen. Solange es eine Minderheit ist, deren Lebensinhalt zunehmend aus virtuellen Inhalten besteht (TikTok, Games, etc.), können diese innerhalb einer Klassengemeinschaft durchaus als Außenseiter gelten. Sobald es eine Mehrheit ist, oder aber die dominanteren Schülerinnen und Schüler einer Klassengemeinschaft, erleben alle die dazu gehören wollen, dass ihnen dies nur möglich ist, wenn sie sich mit den gleichen Inhalten beschäftigen und leiden, wenn sie das nicht können, weil ihnen der Zugang fehlt.

Vor allem Jugendliche nutzen Soziale Netzwerke, YouTube, Online-Spiele und Messenger und hinterlassen dabei oft viele private Daten und Bilder. Was bedeutet das und wie können Eltern, Schule und andere Einrichtungen/Initiativen helfen? Welche gibt es da?

UB: Welche Folgen das Preisgeben von privaten Informationen langfristig für diese Generation haben wird, ist schwer abzuschätzen. Einzelne werden sicher ihr Leben lang unter Fotos, Videos etc. zu leiden haben, die von ihnen im Netz existieren und nicht mehr gelöscht werden können. In jedem Fall ist es Aufgabe der Eltern und der Schulen, die Jugendlichen immer wieder zu sensibilisieren. Hierbei können sowohl die zuständigen Mitarbeiter:innen der Polizei, als auch engagierte Mitglieder des Chaos Computer Clubs (CCC) einen hilfreichen Beitrag leisten.

Aber ganz ohne Medien geht es nicht – wie können wir Kinder und Jugendliche Medienkompetent machen und sie begleiten?

UB: Am allerwichtigsten ist, dass die Kinder und Jugendlichen nicht unbegleitet an die digitalen Medien herangelassen werden. Wir alle wissen, dass die Anbieter alles dafür tun, um die Aufmerksamkeit der Nutzer zu fesseln. Es ist utopisch zu glauben, dass vor allem junge Jugendliche, die nötige Selbstdisziplin besitzen, um mit diesen Mechanismen souverän umgehen zu können. Von daher braucht es zeitliche und inhaltliche Beschränkungen und immer wieder das offene Gespräch. Technische Hilfsmittel, wie Familieneinstellungen bei Apple oder Parentcontrol für Android, sind eine Hilfe, aber kein Ersatz. Und natürlich ist die Vorbildfunktion das A und O. Wenn die eigenen Eltern und Lehrer sich nicht im digitalen Raum behaupten können, werden es die Kinder nie lernen.

Vielen Dank!

 

Über Uwe Buermann

UBuermannUwe Buermann, geb. 1968, pädagogisch-therapeutischer Medienberater an der Freien Waldorfschule Mittelrhein, verheiratet und Vater dreier Kinder. Begründer und Leiter des Ausbildungsganges zum „Pädagogisch-therapeutischen Medienberater“ am Lehrerseminar Berlin. Gastdozent an verschiedenen Lehrerseminaren. Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IPSUM (Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie) und Autor zahlreicher Fachartikel und Bücher, zuletzt erschienen "Aufrecht durch die Medien" im Flensburger Hefte Verlag. Weitere Infos unter www.erziehung-zur-medienkompetenz.de

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Auch Initiative „Medienfasten“ von Dr. Silke Schwarz und Prof. Dr. David Martin beschäftigt sich damit, wie gesundes Aufwachsen in einer digitalen Welt aussehen kann. » Hier gibt es mehr Infos.